Und schon wieder diese Diskrepanz zwischen offiziellem Definitionsmodell und der eigentlichen, puren Bedeutung des Begriffes...
Einigen wir uns doch mal endlich auf folgendes:
Polyamore ["Mehrere"+"Liebe") sind erst einmal lediglich Menschen, welche in mehr als einen Menschen auf erotisch-seelischer Ebene verliebt sind / sein können.
Die Defintionsmodelle welche sich im Laufe der Zeit innerhalb des Kreises von
organisierten Polyamoren entwickelten (ob nun auf Wiki oder hier in der Gruppenbeschreibung) nehmen an, dass dies lediglich unter folgenden Vorrausetzungen funktionieren kann:
- Absolute Offenheit unter allen im Netzwerk beteiligten
- Einverständnis unter allen Beteiligten [zu allen Beteiligten]
- Hierarchielosigkeit
- Liebe der Sexualität deutlich übergeordnet oder sogar von letzterem"befreit"
Diese "Muss man so haben/machen"-Prämissen sind jedoch soziale Konstrukte, abgeleitet aus den (zumeist schlechten) Erfahrungen so mancher. Dabei wird jedoch vergessen, dass diese Konstrukte nicht maßgeblich sind für das Gefühl an sich polyamor zu lieben und zu leben.
Die Abgrenzung zur offene Beziehung findet auch nicht dadurch statt, dass diese Verhaltensempfehlungen (und mehr sind sie auch nicht) nicht Punkt für Punkt eingehalten werden. Sondern lediglich dadurch, dass sich die Offene Beziehung auf den sexuellen Aspekt konzentriert und Emotionalität zu Dritten oberhalb einer gewissen Schwelle zu einer weiteren Liebe i.d.R. nicht toleriert wird. Sind Menschen dann angekommen im Bereich darüber bei noch immer vorhandener, intakter Liebe zu ihrem Kernpartner kann man durchaus bereits von Polyamorie reden - ungeachtet dessen, ob oben erwähnte Regen nun eingehalten werden oder nicht.
"Heimlich" (nur ein Beispiel für die Nichteinhaltung einer dieser Regeln) einen zweiten Menschen zu lieben ist also bereits polyamor. Ob dies so über einen längeren Zeitraum Bestand haben kann wegen der sozialen Probleme und Belastungen welche sich daraus ergeben können, ist wiederum eine andere Frage.
Ich persönlich kenne aber so einige, welche ohne oder nur teilweise Einhaltung einiger oben genannten Regeln dennoch eine gut funktionierende Polyamory leben und dies auch langfristig und nachhaltig. Ich würde den Teufel tun, jenen ihre Polyamorie abzusprechen nur weil sie nicht mit der 'Hardcore'-Definition der organisierten Polygesellschaft Punkt für Punkt und zu 100% übereinstimmt.
Diese Regeln sind weder Gesetze noch in Stein gemeißelt. Noch sind sie eine Garantie dafür, dass es mit ihnen funktioniert. Aber eben auch keine Garantie dafür, dass es ohne sie (oder Teile von ihnen) nicht ebenso funktionieren kann, und dies sogar sehr gut.
Und nun zur Frage des Threadersteller: Ich bin kinderlos verheiratet, lebe also in einer Kernbeziehung am Ort meines Lebensmittelpunkts, habe aber auch eine zweite Frau (nicht auf dem Papier aber de facto) in Frankreich seit nun mehr als 4 Jahren. Meine Liebe zu beiden steht völlig außer Frage, auch wenn sie unterschiedlicher Natur sind - weil sie eben unterschiedliche Menschen sind. Ich bin sehr oft bei ihr in Frankreich (8-10 Mal im Jahr, zumeist ~9 Tage), wir kommen auch mal an anderen Orten auf halber Strecke in Hotels oder angemieteten Privatunterkünften zusammen, fahren einmal im Jahr gemeinsam in den Urlaub, besuchen gelegentlich hedonistische Events und Locations und ich bin in ihrer Familie als auch ihrem Freundeskreis vollständig integriert - ihre beiden Kinder nennen mich aus eigenem Antrieb heraus "beau-père" - eine positiv besetzte Form von Stiefvater. Und sie ist einmal im Jahr hier bei mir/uns in D, dann jedoch mit mir zusammen die meiste Zeit in einem extra dafür angemieteten Appartement des Nachts. Meine Frau und sie haben ein hohes freundschaftliches Verhältnis, schätzen sich gegenseitig ausgesprochen und chatten auch regelmäßig miteinander. Aber ich erzähle zB bei weitem nicht jeder alles über die andere oder was ich mit ihr erlebe oder gerade mit ihr fühle. Und ich kann es auch nicht ab, sollten die beiden über solche Dinge bis über ein gewisses Maß hinaus miteinander reden, dies ist auch so abgesprochen. Das verletzt nach meinem Gefühl die Intimsphäre der jeweiligen Verbindung. Und nicht nur meiner Meinung nach sondern ebenso nach der Meinung der beiden Frauen.
Wie man sieht, überall kleine bis sogar große Brüche der besagten Regeln. Aber sollte es einer deswegen wagen, mir meine bzw uns allen unsere Polyamory abzusprechen 'weil dies in Wiki so steht' - dann hätte er wohl ein Problem mit mir und meinen beiden geliebten Damen